Polymere |
Polymere sind große Moleküle, die aus Ketten von Untereinheiten (Monomeren) bestehen. Ein Polymer enthält im Durchschnitt zwischen zehn- und hunderttausend Monomere. Da ein Polymer meist nicht langgestreckt, sondern als Knäuel vorliegt, hat es eine sehr hohe Elastizität: Unter Belastung streckt es sich einfach wie ein Gummiband.
In Polymeren aus unterschiedlichen Monomeren kann die Reihenfolge geordnet oder zufällig sein (Copolymere), oder es können Blöcke aus einer Monomersorte an Blöcke einer anderen gehängt werden (Blockcopolymere). Schließlich gibt es verzweigte, ringförmige, kammartige und vernetzte Polymere. So ist z.B. Gummi bzw. Kautschuk ein unregelmäßiges Polymernetzwerk, dessen charakteristische hohe Elastizität durch die Knäuel zwischen den Vernetzungspunkten bestimmt ist.
Die Eigenschaften polymerer Materialien hängen wesentlich vom Aufbau und der Abfolge der Monomere ab. Aber auch dynamische Verhaltensweisen der Polymere beeinflussen die Charakteristiken der Stoffe enorm. Kleinste Abweichungen in der Zusammensetzung auf atomarer Ebene können schon große unterschiedliche Eigenschaften bewirken. Das Wissen über den Zusammenhang zwischen Struktur bzw. Dynamik und der Eigenschaft eines Polymers ist von enormer Bedeutung für das Hervorbringen von Stoffen mit maßgeschneiderten Eigenschaften. Wie bei einem Lego-Bausatz lassen sich so z.B. leichtere aber härtere Materialien insbesondere Kunststoffe kreieren, die in Flugzeugen oder diversen Fahrzeugen, aber auch in kugelsicheren Westen ihren Einsatz finden. Polymere sind auch in Farben, Waschmitteln, Reifen, Gummis und ähnlichem enthalten.
Große Längen- und Zeitskalen
Gerade bei der Untersuchung von Polymeren stößt man auf besonders große Längenskalen, die durch ihre Größe bedingt sind. Somit muss experimentell ein breites Spektrum erfasst werden, was von atomaren Einheiten (1nm) bis hin zu Einheiten reicht, die größer als Polymere (100nm) sind. Dementsprechend groß sind auch die Zeitskalen (1ns bis ca. 1 Monat), da Bewegungen im mikroskopischen Bereich sowie im makroskopischen Bereich von Bedeutung sind. Mit Hilfe der Neutronen lassen sich relativ große, einzigartige Längen- und Zeitskalen erfassen.
Kontrastierung
Polymere liegen sehr häufig in komplexen und undurchsichtigen Zuständen vor, so dass selbst ein erfahrener Experte den Überblick verlieren würde. Man kann sich die Polymere als große Portion Spaghetti vorstellen, in der man eine einzelne Nudel nicht genau verfolgen kann. Deshalb bedient man sich einer Kontrastierungsmöglichkeit. Zur Hervorhebung einzelner Polymere oder Moleküle ersetzt man Wasserstoff (H) im Polymer durch sein etwas schwereres Isotop Deuterium (D). Dies bewirkt ein wesentlich anderes Streuverhalten mit Neutronen, was sich in der Auswertung der Experimente deutlich bemerkbar macht. So fallen die mit Deuterium-Atomen dekorierten Polymermoleküle genauso deutlich auf wie eine grüne Spinatnudel in einer Portion Spaghetti. Diese Möglichkeit der gezielten Kontrastvariation bietet sich spezifisch für Neutronen und ist damit ein großer Vorteil zur Untersuchung derartiger Multikomponentensysteme, wie es die Polymere zweifelsohne sind.
Randomwalk:
In den Polymerknäueln sind die einzelnen Monomere durch chemische Verbindungen unter einem gewissen Winkel miteinander verbunden. Die einzelnen Monomere stoßen sich gegenseitig ab, weswegen nicht alle Winkel für das Polymer gleich "angenehm" sind, so dass der Winkel von dem energetischen Zustand abhängig ist. Folgt man einer Polymerkette von Monomer zu Monomer, so legt man einen statistisch beschreibbaren Zufallsweg zurück, da die Richtung durch die unterschiedlichen Winkel stets gemäß gewisser Regeln verändert wird. Mit Hilfe dieser Vorstellung lässt sich die Ausbreitung der Polymere durch statistische Mathematik errechnen, und es sind Modelle entstanden, die Auskunft über die Ausbreitung sowie die Dichte der Polymere, aber auch über die lokale Anordnung der einzelnen Monomere zueinander geben.
Bei einem solchen rechnergenerierten Zufallspolymer können die Monomere jedoch wieder genau an eine Stelle zurückkehren, an der schon ein Monomer sitzt, was in der Realität nicht möglich ist. Deshalb muss man den sogenannten Volumenausschlusseffekt(d.h. "an einer Stelle kann nur ein Monomer sein") mitberücksichtigen, der zu einer Schwellung des Knäuels führt. Dieser ist jedoch nur bei Lösungen mit viel Lösungsmittel und wenigen Polymeren ausschlaggebend, da hier die Polymere viel Platz zum Anschwellen haben. In Schmelzen oder in amorphem Glas liegen die Polymerketten so eng in einander verschlungen, dass dieser Effekt vernachlässigbar ist.
Solche Modellvorstellungen wurden ebenfalls durch Kleinwinkelstreuung an Polymeren bestätigt.
Phasenübergänge und Polymermischungen:
Um Stoffe mit neuen, maßgeschneiderten Eigenschaften zu erlangen, werden oft zwei verschiedene Polymerearten gemischt. Ob sich nun die beiden Materialien so vereinigen lassen, wie man es sich wünscht, lässt sich wiederum mit der Neutronenstreuung unter Zuhilfenahme der Kontrastierungsmöglichkeit untersuchen. Dazu wird eine der Polymerarten deuteriert, so dass sie sich von der anderen abhebt.
Sind die Ketten im Stoff homogen verteilt, so lassen sich die Stoffe gut mischen. Bei Nichtmischbarkeit entstehen größere Anreicherungen von jeweils nur einem Polymer, welches durch die Neutronenstreuung sichtbar wird. Da es heutzutage noch nicht möglich ist, allein aus den Stoffdaten auf das Mischungsverhalten zu schließen, müssen die neuen Polymermischungen stets auf diese Weise untersucht werden.
Um die Mischbarkeit zu erhöhen, lässt sich als Vermittler zwischen den beiden Polymeren ein Blockcopolymer einsetzten. Dieses Blockcopolymer geht an die Grenzfläche der Anreicherungen und vermittelt somit zwischen den beiden nicht mischbaren Homopolymeren.
Ein anderes Beispiel für den Einsatz von Blockcopolymeren ist das sogenannte "Styrol-Butadien-Styrol Triblockcopolymer" (keine Angst, das müssen Sie sich nicht merken). Dieses Polymer besitzt die gummiartige Eigenschaft des Butadien-Blockes. Die zweite für ein Gummi wichtige Eigenschaft, nämlich der Aufbau eines polymeren Netzwerkes, wird durch den festen Styrol-Block übernommen. Die kugelförmigen Ausscheidungen des Styrols verbinden mehrere Polymere, so dass sich insgesamt ein polymeres Netzwerk ergibt (siehe Bild). Bei hohen Temperaturen (ca. 200°-250°C) können die Ausscheidungen und damit das Netzwerk aufgelöst werden, welches sich aber nach Abkühlen sofort wieder ausbildet. Dieser intelligente Werkstoff erlaubt also die freie Formbarkeit eines Gummis im Rahmen eines Spritzgußverfahrens.
In dem Spielzeug Silly-Putty sind die Verhältnisse der Polymere besonders kompliziert: Legt man diese Art von Knetmasse auf den Tisch, so verläuft sie; wird sie jedoch gegen die Wand geschleudert, so prallt sie wie eine Kugel wieder zurück. Um diese und ähnliche Phänomene zu beschreiben, wurde mit Hilfe der Neutronenstreuung ein sogenanntes Reptationsmodell entwickelt. Dieses gibt Auskunft über die dynamischen Eigenschaften der Polymerketten, z.B. wie sich eine Kette aus ihrer von anderen Ketten gebildeten Umgebung herauszieht, etwa so, wie man eine Spaghetti aus einer Menge anderer herauszieht. Durch Neutronenstreuexperimente ließ sich herausstellen, dass Polymere sich verhalten, als ob sie in fiktiven Schläuchen eingesperrt wären, in denen sie schlängelnde Bewegungen, angetrieben durch ihre Wärmeenergie, durchführen.
Wirkt nun von außen eine Kraft auf die Polymere, so ist es von der Zeit abhängig, wie die Polymere sich in ihren fiktiven Schläuchen verhalten. Für sehr kurze Belastungszeiten (unter 5-10ns), also z.B. der Stoß der Knetmasse gegen die Wand, bemerken die Monomere nur ihre direkten Nachbarn und können sich nicht frei bewegen, so dass die Masse hart wie eine Kugel wird. Für mittlere Zeiten (unter 1000ns) macht sich schon die Aneinanderreihung der Monomere bemerkbar, und kleinere Verformungen sind erlaubt. Die Verhakung der Polymere untereinander erfährt das Polymer innerhalb Zeiten bis 10.000ns, so dass es einen gummiartigen Zustand annimmt. Wird die Kraft auf die Polymere relativ lang ausgeübt (über 10.000ns), so schlängeln sich die Ketten auseinander und das Polymer wird flüssig und verläuft.
Grenzschichten und Filme sind eine weiteres wichtiges Themengebiet bei der Untersuchung von polymeren Materialien. Detailliertes Wissen über Aufbau, Dichteprofil, Wechselbeziehungen zu angrenzenden Stoffen oder Ablauf von Oberflächenprozessen dienen der Verbesserung von Klebstoffen, Spül- und Waschmitteln, Zusätzen für Schmierprozesse, oder Farben.
Ein interessantes und sehr alltagsbezogenes Beispiel soll im folgenden erläutert werden. Wer kennt nicht das Problem, dass sich Wasser und Öl nicht miteinander verbinden wollen? Will man z.B. einen mit Salatöl beschmutzten Teller säubern, so reicht es nicht aus, ihn mit Wasser allein abzuspülen, sondern es muss erst noch ein Tropfen Spülmittel hinzu genommen werden, damit der Teller glänzend sauber wird. Aber was ist eigentlich das Geheimnis des Spülmittels? Spülmittel beinhalten sogenannte Tenside. Dies sind kleine Moleküle, die sowohl ein wasserliebendes (hydrophiles) Ende als auch ein ölliebendes (lipophiles) Ende besitzen. Während sie sich mit dem hydrophilen Teil an ein Wassermolekül aus dem Spülwasser binden, knüpft der lipophile Teil an ein Ölmolekül auf dem Teller an und reißt dieses von dem Teller los. In dem Spülwasser bilden sich dann winzigkleine Öltröpfchen, auch Mizellen genannt, mit einer Schutzschicht aus Tensiden. Auf diese Weise wird der Schmutz entfernt.
Diese Reinigungskraft, die sich durch die Fähigkeit der Verbindung von Öl und Wasser zu einer Emulsion auszeichnet, haben Wissenschaftler aus dem Forschungszentrum Jülich um ein Vielfaches steigern können. Gemäß den Eigenschaften eines Tensides(1a) haben sie ein Blockcopolymer ebenfalls mit einem hydrophilen und mit einem lipophilen Ende versehen, so dass sich ein überlanges "Tensid" (1b) ergibt. Durch die längeren Polymerketten können nun größere Öltröpfchen entstehen(2). Ein großer Öltropfen besitzt eine wesentlich kleinere Oberfläche im Verhältnis zu seinem Volumen als ein kleines Öltröpfchen. Das bedeutet: Bei gleicher Ölmenge benötigen wir wesentlich weniger Polymere als Tenside in der Grenzschicht um eine Wasser-Öl-Emulsion herzustellen.
Aus Experimenten geht jedoch hervor, dass die künstlichen Polymere allein aus noch ungeklärten Gründen das Öl nicht mit dem Wasser vermischen können. Somit muss stets eine Mischung von Polymeren und Tensiden im Spülmittel enthalten sein. Dabei reichen schon 10% Polymere, um eine Effizienzsteigerung um 1000% zu erreichen. Oder anders ausgedrückt: Statt 1kg Tensid benötigt man nun nur noch ein Gemisch von 100g bestehend aus 90g Tensiden und 10g Polymeren. Die Auswirkungen dieses Effektes für die Industrie und schließlich auch für den Haushalt liegen auf der Hand: Zum einen können durch den geringen Verbrauch Kosten gespart werden, zum anderen ergibt sich eine höhere Umweltfreundlichkeit. Außerdem ließ sich auch eine bessere Hautverträglichkeit bei Kosmetika oder Körperreinigungsmitteln feststellen.
Der Einsatz der Neutronen trug zum wesentlichen Verständnis des Effektes bei. Um den Grund für die Effizienzsteigerung der Waschkraft herauszufinden, wurde die Anordnung der Polymere in der Emulsion untersucht. Hierzu bediente man sich der Kontrastierungsmethode, indem man die Tenside, Ölmoleküle und Wassermoleküle deuteriert, um so die Polymere besonders hervorzuheben. Auf Grund der äußerst geringen Menge an Polymeren musste man eine für ein Neutronen-Kontrastvariations-Experimentes bisher einmalig hohe Präzision erreichen. Man fand heraus, dass die Polymere sich zwischen die Tenside in den Film einordnen und vor allem durch ihre langen Ketten, die sich sowohl im Wasser als auch im Öl ineinander verknäulen und verankern, die Steifigkeit der Filmschicht deutlich erhöhen. Dadurch werden die Ölmoleküle wesentlich stärker an das Wasser gebunden und der Schmutz lässt sich noch leichter vom Teller oder von der Kleidung entfernen. Ein Erfolg für jeden Haushalt.