Nicht-Streuungs-Methoden

Außer der Neutronenstreuung existieren noch mehrere andere Messverfahren, die sich die besonderen Eigenschaften der Neutronen zu Nutze machen. Diese haben eine andere Zielsetzung als die streuungsorientierten Methoden und ergänzen Röntgenuntersuchungen, da sich die Neutronen gerade für die Fälle eignen, in denen Röntgenstrahlen Schwächen zeigen.

Neutronenradiographie

Die Neutronenradiographie ist ein Durchleuchtungsverfahren; dabei wird die Probe mit Neutronen beschossen und die Schwächung des Strahls durch die Atomkerne in der Probe gemessen. Dabei lassen sich verschiedene Materialien, sogar verschiedene Isotope, extrem gut identifizieren, da die Wirkungsquerschnitte sehr unterschiedlich sind. Wie man am Bild erkennen kann, kommt es zu deutlichen Abschwächungen des Strahls durch Wasserstoff und Bor. Dem liegen zwei verschiedene Mechanismen zu Grunde: Bei Wasserstoff kommt es zu einem elastischen Stoß mit dem Atomkern(wie bei einem Flummi). Da dieser in etwa die gleiche Masse wie das Neutron besitzt, ist der Effekt besonders stark. Dies ist besonders hilfreich bei der Untersuchung von dünnen Schnitten aus biologischen Systemen, da diese stark wasserhaltig sind und man dadurch sehr kontrastreiche Aufnahmen erhält. Beim Bor-Atom hingegen wird das Neutron mit hoher Wahrscheinlichkeit in das Atom aufgenommen und damit "verschluckt". Die Neigung eines Atoms zum Einfang eines Neutrons variiert sehr stark, weswegen man Materialien aus ihrem Neutroneneinfang heraus identifizieren kann.

Ein Aufbau zur Untersuchung mit Neutronenradiographie besteht prinzipiell aus vier Elementen: Quelle, Kollimator, Probe und Detektor. Dabei fliegen die Neutronen von der Quelle durch den Kollimator, der sie parallel zueinander ausrichtet. Dies wird erreicht, indem man ein Bündel paralleler Neutronenleiter verwendet, das die Neutronen aufnimmt und sie an seinem Ende parallel ausgerichtet entlässt. Die Neutronen durchfliegen nun die Probe, wobei einige eingefangen oder abgelenkt werden und damit den Detektor nicht erreichen. Der Detektor steht nur unmittelbar hinter der Probe, da man an gestreuten Neutronen nicht interessiert ist. Er besteht aus einer Schicht Konvertermaterial, meistens Lithium, bei dem unter Neutronenbeschuss Photonen und Alphastrahlung freiwerden, die leicht aufzufangen sind. Anstatt der bei der Streuung üblichen Detektoren werden die folgenden Systeme verwendet:

Für die Qualität der Aufnahmen spielen bei der Neutronenradiographie verschiedene Faktoren eine Rolle. Um eine hohe Schärfe zu erreichen, braucht man sehr parallele Neutronenstrahlen und eine gute Abschirmung gegen Gammastrahlung. Ist das Ziel eine hohe Zeitauflösung, muss man natürlich eine CCD-Kamera verwenden; ein starker Neutronenstrahl ist auch nötig. Insgesamt sind mit der Neutronenradiographie Auflösungen bis etwa 50 Mikrometer möglich.

Neutronenradiographie eignet sich besonders gut zur zerstörungsfreien Untersuchung, auch von Objekten, die gegenüber Röntgenstrahlen stark abgeschirmt sind, z.B. durch eine dicke Metallummantelung. In diesem Fall wäre eine Identifizierung vor allem von nichtmetallischen Stoffen fast unmöglich. Hier zeigt sich wieder die Komplementarität mit der Röntgenstrahlung: Diese kann Abschirmungen schlecht durchdringen und zeigt bei derartigen Untersuchungen Schwächen, die durch Neutronen ergänzt werden können. Außerdem lässt sich mit Neutronenradiographie auch eine gewisse Zeitauflösung erreichen. Diese könnte mit Hilfe einer gepulsten Neutronenquelle deutlich erhöht werden. Das Prinzip ähnelt der Verwendung des Blitzes beim Photoapparat: bei einer geringen Neutronendichte (wenig Licht) ist eine lange Belichtungsdauer nötig und schnelle Vorgänge wirken verschwommen. Wird jedoch eine gepulste Quelle verwendet, bei der in einem sehr kurzen Zeitraum viele Neutronen ankommen, so könnten auch schnelle Abläufe sichtbar gemacht werden. Wenn man eine Vielzahl von Aufnahmen aus unterschiedlichen Blickwinkeln macht, ist auch die Erstellung eines 3-dimensionalen Abbildes des untersuchten Gegenstandes möglich. Diese Neutronentomographie wird z.B. in der Geologie zur Lagebestimmung genutzt.

Anwendungsbeispiele

Schutz von Beton

Beton ist wohl der am häufigsten verwendete Baustoff. Es besteht jedoch das Problem, dass durch die poröse Oberfläche Wasser eindringen kann, wodurch der Beton bei Temperaturen unter Null platzen kann. Auch besteht durch das Eindringen von chloridhaltigem Wasser die Gefahr der Korrosion. Diese Vorgänge verursachen mitunter erhebliche Schäden und somit auch hohe Renovierungskosten.

Um dies zu verhindern, möchte man die Oberfläche des Betons für Wasser versiegeln; dies soll durch Imprägnierung geschehen. Es ergaben sich jedoch Probleme bei der Anwendung. Aus Umweltschutzgründen hat man den Dichtstoff für das Auftragen mit Wasser vermischt statt mit Lösungsmitteln. Der Dichtstoff drang jedoch auch nach einer deutlichen Verlängerung der Einwirkzeit kaum in den Beton ein. Mit Hilfe der Neutronenradiographie wurde der Grund für dieses Verhalten entdeckt: Im Beton kommt es zu einer unbeabsichtigten Trennung zwischen dem Wasser und dem Silan. Das Wasser eilt dem öligen Silan vor raus und verhindert damit ein tiefes Eindringen des Wirkstoffes.

Perlenbestimmung

Um entscheiden zu können, ob eine Perle eine echte Perle oder eine Zuchtperle ist und ob es sich um Süß- oder Salzwasserperlen handelt (große Preisunterschiede!), sind im Normalfall Röntgenuntersuchungen ausreichend. Auf Grund von immer weiter verfeinerten Techniken zur Perlenzucht kommt es immer wieder zu Unklarheiten um was für eine Perle es sich handelt. Die Neutronenradiographie kann hier eine Hilfe sein, da sie die in Zucht- und Naturperlen unterschiedlich eingelagerten organischen Bestandteile sehr klar darstellt. Ein weiterer Vorteil der Neutronenradiographie liegt in der Untersuchung von bereits verarbeiteten Perlen. Hierbei kann es durch Röntgenstrahlung zu Farbveränderungen bei Süßwasserperlen kommen, was logischerweise sehr unerwünscht ist. Dies ist bei der Neutronenradiographie ausgeschlossen.

Krebstherapie mit Neutronen

Diese Art der Krebsbehandlung befindet sich noch im Experimentierstadium. Dabei soll der Tumor durch Hitze zerstört werden, die in ihm selber erzeugt wird, so dass das umliegende Gewebe möglichst wenig belastet wird.
Hierzu wird Bor in die Blutbahn gespritzt. Aufgrund des Tumorstoffwechsels lagert es sich in den Krebszellen ab. Wird der Patient nun mit Neutronen bestrahlt, fängt das Bor viele Neutronen ein. Dabei wird die Energie der Neutronen in Strahlung und Wärme umgewandelt, die die Tumorzelle töten. Probleme bestehen noch in der Auswahl des genauen Mittels, da es bor-haltig und ungiftig sein muss. Außerdem sollte es sich wirklich nur im Tumor ablagern. Ein möglicher Kandidat scheinen im Moment Ätherlipide zu sein.